Filme sichten, zu Festivals reisen, sich Programme ausdenken und Journalisten zum Kaffee empfangen – klingt nach einem guten Job. Einer, der ihn seit zwanzig Jahren ausüben darf, ist Gerald Weber: Geschäftsführer-Stellvertreter beim Wiener Filmverleih sixpackfilm und unter anderem zuständig für Festivals, Video-on-Demand, TV und Kopierlogistik.

Kulturfüchsin.at traf den Filmexperten zum Gespräch. Ein Interview über Anfänge, Zukunftsaussichten und die momentane Situation im Bereich Kurz-, Experimental- und Dokumentarfilm.

Rund 2.500 Filme im Verleih, international gut vernetzt und eine wichtige Bereicherung in Wiens Kulturlandschaft. Wie hat das alles angefangen?

sixpackfilm besteht seit 1991. Anlass der Gründung war der Wunsch ein Filmfestival mit Found Footage Filmen zu organisieren – eine Retrospektive. Fördergelder ließen sich allerdings nur als Verein lukrieren. Also hat man kurzerhand einen gegründet. Das war damals jene Zeit, in der Martin Arnold mit seinem ersten Film „Piece Touchee’“ sehr erfolgreich war. Er hatte gerade seinen zweiten „Passage à l’acte“ fertig gestellt und war mit den vielen Festivalanfragen – vorwiegend aus Amerika – mit Arbeit eingedeckt. Also kamen er und die Filmemacher Peter Tscherkassky und Lisl Ponger auf die Idee, mit dem Verein in weiterer Folge eine Vertriebsstruktur aufzubauen, um sich wieder mehr auf das Filmemachen zu konzentrieren. Gedacht war eine Vertriebsplattform für österreichische unabhängig produzierte Filme aller Art. Zu dem Zeitpunkt gab es zwar schon die Austrian Film Commission, die die gleiche Arbeit für die von Produzenten hergestellten Filme macht, aber stark mit dem Produzentenverband gekoppelt ist.

Wie kann man sich die Arbeit bei so einem Filmverleih vorstellen?

Ein Großteil unserer Aufgaben besteht in der Festivalbetreuung. Wir reichen die Filme, der bei uns im Programm vertretenen Filmemacher ein und machen u.a. die PR vor Ort. Das ist sozusagen eine indirekte Förderung. Die Kosten werden von uns getragen. Wir kümmern uns zudem um den Verleih. Das heißt, wir bearbeiten Anfragen von Kinos und Ausstellungshäusern. Außerdem organisieren wir gemeinsam mit Kinos spezielle Programmschienen oder Veranstaltungen, sind im Online-Bereich präsent und bringen ca. zwei Mal im Jahr unter dem Label „index“ eine DVD heraus. Ein hartes Pflaster für uns sind nach wie vor die Fernsehverkäufe.

Woran liegt das? Dokus funktionieren im Fernsehen prinzipiell gut, trotzdem klafft diesbezüglich eine Lücke im Programm des ORF …

Man hat den Eindruck, dass das österreichische Fernsehen ein generelles Problem mit dem österreichischen Film hat. Der experimentelle Film hat es in Mainstream-Medien generell immer schwer. Aber gerade im Kurzspielfilmbereich sähe ich genügend Möglichkeiten sie im Programm unterzubringen. Woran es liegt, dass das trotzdem kaum geschieht? Ich weiß es nicht. Möglicherweise am Quotendruck, am Mut der Entscheidungsträger. Das Programm des ORF war – was Kultur anbelangt – früher mutiger. Die Gründung von ORF III hat wenig für uns verändert. Die Sachen dort kommen vorwiegend aus dem eigenen Archiv. Die Ankaufsgebühren sind unzureichend.

Viele eurer Filme laufen erfolgreich auf internationalen Festivals. Wie funktioniert die Zusammenarbeit in diesem Bereich? Wie gut seid ihr vernetzt?

Filmfestivals gibt es wie Sand am Meer, da muss man eine Auswahl treffen mit wem man zusammenarbeitet. So genannte Key Festivals haben eine starke Verteilerfunktion. Außerdem kann man sich bei diesen Festivals sicher sein, dass sorgfältig programmiert wird und dass die Filme gut präsentiert werden. Für uns besonders wichtig sind z.B. Rotterdam, im Bereich experimenteller Kurzfilm Oberhausen, Hamburg aber auch das VIS Festival, das sich immer mehr zu einem Key Festival entwickelt hat. Und natürlich bemühen wir uns aktiv auf den so genannten A-Festivals wie die Berlinale, Locarno, Karlovy Vary oder Cannes vertreten zu sein. Letzteres ist vor allem im Bereich narrativer Kurzfilm wichtig. Aber auch in Bristol oder Tampere in Finnland gibt es gute Kurzfilmfestivals. Wir versuchen außerdem mehr Festivals dazu zu bringen Verantwortung für die Filmemacher zu übernehmen. Es geht nicht nur darum, dass man sich die Sparkassa schnappt und irgendeinen Preis ausschreibt. Viele Festivals wollen zum Beispiel keine Verleihgebühren zahlen. Das heißt, es fehlt der Rückfluss an die Filmemacher. Gerade in Zeiten, in denen die Kinozahlen sinken, werden Festivals aber immer wichtiger in der Verwertungskette eines Films.

Zu einem wichtigen Kooperationspartner für euch ist das VIS – das größte österreichische Festival für internationalen Kurzfilm – geworden. Seit Dezember letzten Jahren ist das VIS im Reigen der Academy Qualifying Festivals. Was bedeutet das für euch?

Wir arbeiten seit Anbeginn mit dem VIS zusammen. Heuer haben wir beispielsweise in Kooperation die belgische Filmemacherin Anouk de Clerque eingeladen. Wir schicken ihnen wie alle anderen unsere Arbeiten und sie wählen aus und ordnen sie den einzelnen Programmen zu. Ich denke auf jeden Fall, dass sich die Wahrnehmung des Kurzfilms in den letzten Jahren stark verändert hat. Es ist schon bemerkenswert, welche Entwicklung das VIS über die Jahre genommen hat. Vor der Gründung des Festivals waren internationale Kurzfilme in Österreich nur spärlich zu sehen. Die „Viennale“ hat zwar jedes Jahr eine Auswahl gebracht, aber kaum etwas aus dem Bereich Kurzspielfilm. Das VIS hat diesbezüglich wirklich eine Lücke gefüllt. Wichtige Arbeit für den internationalen Kurzfilm leistet auch das „Cinema Next“, die dem Nachwuchs eine wichtige Chance bieten.

Als Filmemacher oder Filmemacherin hat man viermal im Jahr die Möglichkeit Filme bei euch einzureichen. Was sind die Kriterien? Wie viele Einreichungen bekommt ihr und habt ihr in den letzten Jahren eine gewisse Tendenz bemerkt?

Pro Termin bekommen wir ca. 50 bis 70 Einreichungen, das heißt so ca. 200 bis 250 im Jahr. Letztendlich nehmen wir davon an die 40 bis 50 Filme. In letzter Zeit wurden uns verstärkt längere dokumentarische Arbeiten angeboten. Um die Jahrtausendwende gab es viel Abstraktes. Aber generell wird bei uns ein extrem breites Spektrum eingereicht. Aufgrund der Förderrichtlinie müssen die Filmemacher Österreicher sein, wobei wir den Begriff Österreicher bewusst sehr offen halten. Es reicht zum Beispiel wenn man länger im Land gelebt hat oder der Film mit österreichischen Fördergeldern produziert wurde. Wir haben auch viele Filme im Verleih, die an der Filmhochschule in Berlin oder München entstanden sind, wo viele Österreicher studieren.

Österreich genießt international im Bereich Experimentalfilm einen hervorragenden Ruf. Trotz allem wird der experimentelle Film von der Kino- und Fernsehlandschaft sowie dem Publikum oftmals vernachlässigt. Hast du das Gefühl, dass in anderen Ländern Dokumentar- und Experimentalfilme einen besseren Stand haben und sie es dort leichter ins Kino schaffen als bei uns?

Ich denke nicht, dass die Situation anders ist. Im Bereich der Dokumentarfilme, die es ins Kino schaffen, ist die Situation in Österreich gar nicht so schlecht. Experimentelle Arbeiten im Kino funktionieren auch in anderen Ländern nicht. Da haben wir nur vereinzelt Anfragen. Dafür ist die Tendenz im Kunstbereich steigend. Vor allem ältere Arbeiten wie von Maria Lassnig, Marc Adrian oder Ernst Schmidt jr. oder Kurt Kren werden gerne angefragt. Viele Museen wie das Mumok oder das 21er-Haus haben mittlerweile auch Kinosäle. Aber auch innerhalb der Ausstellungen hat sich im Umgang mit dem Laufbild viel getan. Noch vor zehn Jahren war die Situation so schlecht, dass viele nicht einmal daran gedacht haben, dass die Filme Ton haben, der auch wichtig ist – der war dann entweder gar nicht zu hören oder man hat die Filmarbeiten alle nebeneinander hingestellt, sodass von den einzelnen Arbeiten nichts zu verstehen war. Davon sind wir zum Glück inzwischen in den meisten Fällen weit entfernt und es wird weitgehend sehr sorgfältig mit Filmarbeiten im Ausstellungskontext umgegangen.

Wenn ich beginne mich für experimentelle Filme oder Filme abseits des Mainstreams zu interessieren, mit welchen Filmemachern und Filmemacherinnen, mit welchen Arbeiten sollte ich anfangen?

Breitenwirksam sind vor allem die Filme von Virgil Widrich wie „Copy Shop“ oder „Fast Film“. Das Interesse daran geht oft über ein spezialisiertes Publikum hinaus. Aber auch „Outer Space“ von Peter Tscherkassy ist relativ leicht zugänglich und funktioniert gut. Oft findet eine erste Annäherung an eine experimentellere Bildsprache sowieso über Musikvideos statt. Ab dem Zeitpunkt, wo Videos über die reine Abbildung von Bands hinausgegangen sind, kamen viele Techniken aus dem Experimentalfilm zum Einsatz. Slow Motion, High Speed, Doppelbelichtungen usw. das sind alles Methoden, die bereits im frühen experimentellen Kino der Zwischenkriegszeit oder im New American Cinema der 60erJahre vorzufinden waren.

Ich habe bei der Frage vorhin auch an Michael Palm gedacht, der wunderschöne und ungewöhnliche Dokus von ganz eigener Ästhetik und zu ernsten Themen macht. Ihr habt dieses Monat im Rahmen eurer Kooperation mit „flimmit“ seinen Film „Low Definition Control – Malfunctions #0“ im Gratis-Stream-Angebot. Seit wann existiert diese Kooperation und wie wird sie angenommen?

Wir haben seit mehreren Jahren eine eigene Kollektion bei „flimmit“. Jedes halbe Jahr kommt ein neues Pool an Filmen dazu. Da wird dann einer pro Monat als repräsentativ ausgewählt und als gratis Film promoted. Oft wählen wir die Filme auch saisonal. Im Sommer möchten wir beispielsweise „Fahrtwind“ von Bernadette Weigel zeigen. Im Herbst werden wir den Kinostart von Ruth Beckermanns neuem Film „Die Geträumten“ dazu nutzen neben oder kurz nach der geplanten Beckermann Retrospektive im Filmmuseum gemeinsam mit flimmit auch eine online-Retrospektive ihrer Filme zusammenzustellen. Michael Palm habe ich ausgewählt, weil ich finde, dass er ein sehr reflektierter Mensch ist, der viel über das Kino nachdenkt. In „Low Definition Control – Malfunctions #0“ hat er sich mit jenen Bildern beschäftigt, die Überwachungskameras liefern und über deren Aufgabe reflektiert. Was bedeuten diese pixeligen Schwarz-Weiß-Bilder für unsere Wahrnehmung? Wer sieht diese Bilder überhaupt? Wie und wo werden sie gespeichert? All diese Fragen hat er kinematografisch aufgearbeitet.

Wir arbeiten aber nicht nur mit flimmit zusammen, sondern auch mit anderen Plattformen im Internet. Beispielsweise mit „MUBI“ in Frankreich und in den USA, „DAFilms“ in Tschechien oder „realeyz“ in Deutschland. Geld kommt bei diesen Sachen allerdings kaum herein. Da geht es hauptsächlich darum, dass die Sachen verfügbar sind.

Kannst du abschließend noch etwas über interessante Neuzugänge erzählen? Don’t miss …

… den Kurzfilm der argentinischen Filmemacherin Maria Luz Olivares Capelle „Wald der Echos“, ein dreißig Minuten Mystery Thriller, der bei VIS den Preis für den besten österreichischen Kurzfilm gewonnen hat. Im Bereich Animation würde ich „Uncanny Valley“ von Paul Wenninger empfehlen. Aber auch Siegfried Fruhaufs Experimentalfilm “Vintage Print” und Susi Jirkuffs “G-Girls” (Ginny und Gracie) sind es Wert gesehen zu werden.

Danke für das Gespräch.
Danke auch.

@Fotos: Winfried Sochor

Geschrieben von Sandra Schäfer